Anlage:29. April 2016 Roky Erickson
- Bericht von Volker Lüke im tagesspiegel vom 30. April 2016
"Roky Erickson im White Trash: Dämonisch, ergreifend
Roky Erickson war so groß wie Lennon und Reed, bis er abstürzte. Im Berliner White Trash spielte der Psychedelic-Rocker jetzt famos auf.
Manche Menschen gehen verloren und manche, die man verloren geglaubt hat, tauchen plötzlich wieder auf. So wie Roky Erickson, der zu jenen großen Popmusikern gehört, die durch ihr Tun die Grenzen der Kunstform hinausschieben, manchmal sogar überwinden. Einer, der in eine Reihe zu stellen ist mit John Lennon oder Lou Reed und von einem Tag auf den anderen aus der Welt fiel.
Mehr als 300 LSD-Trips soll er geschmissen haben, damals, Mitte der Sechziger, in Austin, Texas, als Sänger der 13th Floor Elevators, die die manische Explosivität von Little Richard mit Garagenrock, Folk und dem hypnotischen Blubbern eines elektrisch verstärkten Tonkrugs kombinierten. Das Resultat: ein unschlagbarer Teenage-Rebellion-Sound, der zum Urknall der psychedelischen Rockmusik wurde und nicht nur Janis Joplin beeindruckt hat. Die agierte für die Band als Backgroundsängerin, bevor sie sich nach Kalifornien absetzte.
Eine Therapie brachte Roky Erickson zurück auf die Bühne
Von Primal Scream über Spacemen 3 bis zu den Black Angels prägen die Elevators bis heute Generationen von Psychedelic-Bands, deren Coverversionen Erickson eine stetig wachsende Fangemeinde verdankt. Dabei hat die Band nur drei Alben aufgenommen, bevor ihr Sänger 1968 wegen Schizophrenie in die Psychiatrie eingewiesen wurde, wo man ihn bis 1972 mit Elektroschocks behandelte. Danach hielt er sich für einen Außerirdischen, was er sich sogar notariell beglaubigen ließ, schrieb weiter hinreißende Songs über Zombies, Dämonen oder Vampire und nahm Anfang der Achtziger zwei großartige Soloalben auf. Gleichzeitig wohnte er bei seiner merkwürdigen Mutter, klaute die Post der Nachbarn und schrieb wirre Briefe an Persönlichkeiten wie den toten Alfred Hitchcock.
Erst sein jüngster Bruder sorgte in den Neunzigern dafür, das er endlich eine Therapie machte, die ihn auch zurück auf die Bühne brachte. Wer sich im Netz anschaut, wie er vor einigen Jahren mit Billy Gibbons von ZZ Top auf der Bühne stand oder sich das Album „True Love Cast Out All Evil“ anhört, das er 2010 mit den Neo-Folkrockern von Okkervill River aufnahm, hat für den Auftritt im White Trash doch einige Erwartungen.
"Two Headed Dog", Ericksons Zugabe aus den Achtzigern. Das Publikum singt mit
Trotz 50 Euro Eintritt ist der Laden rappelvoll und als die 68-jährige Kultfigur auf die Bühne kommt, wird schnell deutlich, das sich das Kommen gelohnt hat. Zwar kann er nicht mehr so laut und fröhlich bolzen, wie es diese Musik eigentlich nötig hätte, und, aus seinem manischen Gekreische ist eine brüchige Flüsterstimme geworden, aber er ist immer noch Roky Erickson und singt so innig und zärtlich, wie wir es nie könnten. Cool sitzt er in der Bühnenmitte auf einem bequemen Stuhl und wird von den sympathischen „Hounds Of Baskerville“ begleitet, zu denen auch sein Sohn Jegar gehört, der den Part des blubbernden Tonkrugspielers übernimmt.
Der Sound ist ausgezeichnet. Dabei spielt die Musik nur eine untergeordnete Rolle. Das Beste ist, einfach zu sehen, wie glücklich Erickson ist, wenn er ausschließlich Songs von den drei Elevators-Alben spielt, die uns noch heute eine Vorstellung davon vermitteln, wie weit Musik zu gehen vermag: „Fire Engine“, „Slip Inside This House“, „Roller Coaster“, „Splash No.1“, „Reverberation“, „Levitation“ und natürlich „You’re Gonna Miss Me“, die Smash-Hit-Single von 1966, bevor als Zugabe mit „Two Headed Dog“ noch ein irres Stück aus den Achtzigern kommt. Die Zuhörer im White Trash umarmen einander, weinen und singen die Songs aus vollem Herzen mit, während Roky fast entschuldigend die Arme zum Jubel hebt. Da steht er: Ergreifend und dämonisch, leicht verrückt und dein bester Kumpel. Seine Fans sind jung – jung geblieben und jung an Jahren. Ist das nicht schön?"