Anlage:1. April 1998 Joe Jackson
- Bericht von Manuel Brug im tagesspiegel vom 2. April 1998
"Pop-Moralist
Erst der Song, dann die Moral: Joe Jackson mit "Heaven and Hell" Eigentlich uncool: ein schlappes Betttuch, zwei Musikerinnen und ein spilleriger Herr in mittleren Jahren vor seinem Keyboard - im Konzertsaal der HdK wird an optischen Reizen nicht viel geboten. Aber bei einem wie Joe Jackson hat der äußere Schein noch nie gezählt. Schließlich hat er ja an der Royal Academy of Music in London studiert. Merke: ein Popmusiker, noch dazu ein begnadeter Balladensänger, der den Kontrapunkt beherrscht! Das will er immer vehementer vorführen und hat deshalb seinem schön schläfrigen Konzeptalbum "Night Music" ein Songspiel folgen lassen. "Heaven and Hell", die Sieben Todsünden als hochmoralisches Sangesfest, irgendwo zwischen allen Stilstühlen platziert, giftig oszillierende Lied-Blumen des Bösen, heftig nach Kurt Weill schielend, aber durchaus mit eigenem, modernem Ansatz. Das funktioniert auch in der personell etwas abgespeckten Tour-Version. Weil die himmlische Hölle (oder der höllische Himmel?) nicht abendfüllend ist, gibt es ganz undogmatisch a few bloody old songs vorher und nachher zu hören, eine wohlige Best-of-Mischung, meist in schmusiger Lounge-Abmischung für eine immerwährende blue hour. Dann aber kommt es, Valerie Vigoda läßt die Geigensaiten aufkreischen (das ist der Teufel, klar) und engelsgleich zart singen. Dann schreit Joe, der sich die halbleere Whiskey-Flasche am halbkahlen Schädel zerhaut, nach one for the road. Völlerei, was sonst, der Zettel in der Brusttasche hat die Übersetzung für die der mittelalterlich anmutenden Besserungs-Zumutungen meist unkundigen Zuhörerschaft bereit. Leitmotivisch zusammengespannt besäuseln jazzige Engel die Lust, wird die Habgier als Schwarzmarkt-Dialog im Nachkriegs-Jugoslawien verhandelt. Die Faulheit lullt perfide vor sich hin, der Zorn brüllt, der Neid säuselt im Vaudeville-Format und als Stolz ruft der Meister himself: Call me God. Höllisch himmlisch das."