Anlage:12. Juni 1998 Elton John

Aus Rockinberlin
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  • Bericht von Elisabeth Binder im tagesspiegel vom 17. Juni 1998

"Kein Wetter für Kerzen im Wind
So etwas nennt man wohl eine echte Herausforderung. Das Publikum ist aus unterschiedlichen Gründen leicht genervt.

So etwas nennt man wohl eine echte Herausforderung. Das Publikum ist aus unterschiedlichen Gründen leicht genervt. Viele hatten es doch erst in letzter Minute erfahren, daß aus dem Gipfeltreffen von Elton John und Billy Joel nichts wurde, weil letzterer mit Stimmbandentzündung im Bett lag. Mußten also noch lange Schlange stehen, um ihre Tickets umzutauschen. Und das Wetter spielte eine reichlich überdrehte Hommage an den Monat November. Wie mag sich ein Künstler fühlen, der zurückblickt auf 35 Alben, mehr als 1000 Singles und 3000 Konzerte, wenn er in einer solchen Situation auftreten muß? Die Waldbühne war nicht einmal ausverkauft.

Herausgefordert, ganz offensichtlich. Auftakt mit "Funeral", lila Lichter, eisig-elektronischer Wind und hohler Glockenklang. Höfliche Entschuldigung für all die organisatorischen Widrigkeiten. Dann einige eher rockige Nummern wie "Grey Seal", später langsame, viel gewünschte Oldies ("Daniel", "Rocket Man", "Sacrifice"), außerdem schöne, melodiöse Balladen wie "The One" und "Sorry".Mit "The River can bend" auch Neues. Highlights aus einem veritablen Îvre, musikalisch so abwechslungsreich, daß sich ein Abend von Opern-Länge daraus ohne weiteres bestreiten läst.

Wahrscheinlich kann man nicht davon absehen, unter welchen Bedingungen man ein Konzert hört. Härter als diese können sie kaum sein. Schon nach der ersten halben Stunde war alles durchgeweicht, und das sollte schlimmer werden. Der Regen peitschte durch die Arena. Nur die ganz Unverwüstlichen tanzten zu "Crocodile Rock". Das der Star selbst am Ende in einen Regenanzug schlüpfte, war wohl nicht allein als Zeichen der Solidarität mit dem Publikum zu verstehen. Ein Brite spricht ja sonst auch nie, wie hier geschehen, von "horrible weather".

Das alles sollte nicht ablenken von der überraschenden Schlichtheit des Auftritts. Weißer Anzug, lila T-Shirt, ein glitzerndes Ohrgehänge als einziger Schmuck. Lange Piano-Solos. Einziger Gag: eine Passage, die er unter dem Klavier liegend spielte, blind verbunden mit dem Instrument. Ansonsten trat er in der ruhigen souveränen Art eines Maestros auf die Bühne und inszenierte seine Musik zurückhaltend wie ein Klassik-Konzert. Was es in gewisser Hinsicht ja auch war. Zwei Stücke von Billy Joel kamen am Ende doch zum Zuge: "Uptown Girl" und schließlich, nach drei Stunden und dreißig Songs, als vierte und letzte Zugabe, das Lied vom "Piano Man". Da war die Stimme allerdings schon deutlich mitgenommen. Ohne jede Pause singen unter solchen Bedingungen, da gehört schon ein gewaltiger, nicht nur künstlerischer, sondern auch sportlicher Ehrgeiz dazu.

Das einzige, was an die frühen Zeiten erinnerte, als noch ausgerastete Rebellen für ein junges, wildes Publikum spielten, ist eine gewisse Rauhbautzigkeit der jungen Aufseher. Nun könnte man meinen, die Pop-Veranstalter sollten sich vielleicht von den Kollegen von der Klassik doch mal einige dieser modernen Host- und Hostessen-Lehrgänge empfehlen lassen. Doch ist dieser Anachronismus ein wichtiges Memento für den langen Weg, den die Popmusik gegangen ist. Die exzessive Sturm-und-Drang-Periode ist ausgestanden, die Gesellschaft dank dieser Kultur liberalisiert und lässig geworden. Hier bringt ein geadelter Olympier der Pop-Kultur sein bisheriges Lebenswerk zur Aufführung. Nur die meistverkaufte Single aller Zeiten ("Candle in the Wind") hat er nicht gespielt. Aber die Waldbühne, das hat der Abend bewiesen, ist im November ohne weiteres nutzbar. Wenn denn die Aufführenden (und die Hörenden) nur getrieben genug sind."